In Deutschland drehen sich rund 30.000 Windräder. Weltweit sind es schon über 200.000. Und alle haben etwas gemeinsam: Sie drehen sich in die gleiche Richtung, aus Sicht des auf sie zuströmenden Windes im Uhrzeigersinn. Die führenden Windrad-Hersteller haben sich für diese Drehrichtung entschieden.
Seither produzieren sie die Rotorblätter aller Modelle mit Profilen, die das Windrad rechtsherum drehen. Warum auch nicht?
Bei einem Windrad, das sich irgendwo einsam im Wind dreht, spielt die Drehrichtung tatsächlich keine Rolle. Doch ein Windrad steht selten allein. In einem Windpark stehen immer Windräder im Windschatten anderer Windräder.
Es gibt viele Studien darüber, in welcher Anordnung und mit welchen Abständen Windräder in einem Windpark für die optimale Energieausbeute aufgestellt werden sollten. An die Drehrichtung der Windräder hat dabei bis vor kurzem jedoch niemand gedacht.
Doch nun stieß eine Arbeitsgruppe des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt unter der Leitung von Antonia Englberger und Andreas Dörnbrack bei Computer-Simulationen der Strömungsverhältnisse hinter Windrädern auf überraschende Erkenntnisse: In Windparks wären linksdrehende Windräder besser.
Linksdrehende Windräder liefern 23 Prozent mehr Energie
Theoretisch könnten dahinterstehende Windräder bis zu 23 Prozent mehr Energie gewinnen. Dies gilt allerdings nur für Windräder auf der Nordhalbkugel der Erde. Das sind aktuell jedoch mehr als 90 Prozent aller Windräder weltweit.
Die rechtsdrehenden Windräder südlich des Äquators drehen sich bereits in der optimalen Richtung. Ein weiteres Ergebnis der Simulationsauswertung: Die auf der Nordhalbkugel höhere Energieausbeute dank Linksdrehung ergäbe sich vor allem nachts.
Auf den ersten Blick sind die Windverhältnisse hinter einem Windrad einfach zu verstehen: Das Windrad entnimmt dem anströmenden Wind einen Teil seiner Geschwindigkeitsenergie und wandelt sie mithilfe eines drehenden Generators in elektrische Energie um. Der im Nachlauf hinter dem Windrad abströmende Wind ist etwas schwächer.
Doch der schneller wehende Umgebungswind reißt die langsameren Winde des Nachlaufs mit und beschleunigt die Luftströmung wieder. Genaue Simulationen der Strömungsmuster hinter einem Windrad müssen jedoch auch berücksichtigen, dass weiter oben am Windrad andere Winde wehen können als weiter unten.
Immerhin können die Rotorblätter moderner Windräder deutlich mehr als 150 Meter in die Luft ragen. Bei Tag vermischt jedoch die vom warmen Erdboden aufsteigende Wärme die unteren Luftschichten. Im meteorologischen Idealfall weht deshalb bei Tag der Wind in allen Höhen eines Windrads mit gleicher Geschwindigkeit und aus der gleichen Richtung.
Bei diesen Windverhältnissen spielt die Drehrichtung eines Windrads keine Rolle. Die Nachlauf-Winde werden von dem ringsherum homogen und in gleicher Richtung strömenden Umgebungswind beschleunigt und erreichen das nächste Windrad mit der gleichen Geschwindigkeit.
Der Einfluss der Corioliskraft
Bei Nacht sind die Windverhältnisse aber vielschichtig. Die Luftschichten über dem abgekühlten Boden werden kaum noch turbulent durchmischt und liegen stabil übereinander. In der untersten Luftschicht ist die Windgeschwindigkeit wegen der Reibung am Erdboden am geringsten.
Die Windgeschwindigkeit nimmt mit zunehmender Höhe zu. Dadurch wird mit zunehmender Höhe auch die Corioliskraft immer stärker, die auf den Wind genauso wirkt wie auf jeden Körper, der sich relativ zur rotierenden Erde bewegt.
Auf der Nordhalbkugel der Erde lenkt die Corioliskraft den Wind aus seiner Strömungsrichtung nach rechts ab, auf der Südhalbkugel nach links. Bei der vor allem nachts stabilen Luftschichtung weht der Wind im oberen Bereich eines Windrads also nicht nur stärker, sondern auch aus anderen Richtungen im Vergleich zu den anströmenden Winden weiter unten: Höher am Windrad ist die Windrichtung auf der Nordhalbkugel weiter nach rechts gedreht.
Bei dieser nächtlichen Windscherung ergeben sich hinter linksdrehenden Windrädern andere Strömungsverhältnisse als hinter rechtsdrehenden. Die Rotorblätter werden vom Wind in Bewegung gesetzt, üben aber ihrerseits eine Kraft in der Gegenrichtung auf den Wind aus. Im Nachlauf hinter einem rechtsherum drehenden Windrad hat der Wind daher eine zusätzliche Bewegungskomponente: Er rotiert links herum.
Lohnt sich eine Umstellung von rechts- auf linksdrehende Windräder?
Die Computer-Simulationen des Forschungsteams zeigen, dass die linksdrehenden Nachlauf-Winde und die nach rechts gescherten Umgebungswinde sich gegenseitig schwächen. Als Ergebnis nehmen die Winde des Nachlaufs hinter einem Windrad nur langsam wieder Fahrt auf.
Bei einem Windrad mit Linksdrehung wären die Windverhältnisse dagegen günstiger: Seine Rotorblätter würden den abströmenden Winden eine Rechtsdrehung mitgeben. In diesem Fall würden die Bewegungskomponenten der Nachlauf-Winde und der von unten nach oben zunehmend nach rechts gescherten Umgebungswinde besser zusammenpassen. Der schnelle Umgebungswind könnte den langsamen Nachlauf-Wind gut erfassen und beschleunigen.
Das Fazit der Forscher: Bei höhenabhängiger Windscherung nach rechts, wie sie nachts auf der Nordhalbkugel häufig auftritt, erreicht der Wind hinter einem Windrad mit Linksdrehung das nächste Windrad mit größerer Geschwindigkeit als der Wind hinter einem rechtsdrehenden Windrad. Windräder mit Linksdrehung könnten demnach die Energieausbeute der hinter ihnen stehenden Windräder steigern – zumindest in der Theorie.
Aber würde es sich tatsächlich lohnen, die Produktion für die Nordhalbkugel auf linksdrehende Windräder umzustellen? Dafür müssten nicht nur die Profile der Rotorblätter geändert werden. Auch das Zahnradgetriebe, das die langsame Drehung des Rotors in eine schnelle Drehung des Stromgenerators übersetzt und das je nach Windverhältnissen großen Belastungen ausgesetzt ist, müsste neu geplant und konstruiert werden.
In der platten Prärie wäre mehr zu holen als im hügeligen Deutschland
Dennoch meinen Antonia Englberger und ihre Kollegen, dass ihre Studie mehr als nur akademische Aufmerksamkeit finden sollte. Sie weisen auf die einjährige Messreihe einer Wetterstation im US-Bundesstaat Iowa hin, bei der die in ihrer Simulation angenommenen Windverhältnisse einer stabilen atmosphärischen Schichtung immerhin in 76 Prozent aller Nächte für jeweils zehn Stunden aufgetreten war.
Auf eine Anfrage des Tagesspiegels gibt Bernhard Stoevesandt, der Leiter der Aerodynamik-Abteilung des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme IWES in Oldenburg, aber zu bedenken, dass die realen Windverhältnisse häufig von den in der Studie beschriebenen Windverhältnissen abweichen dürften.
In einer Hügellandschaft zum Beispiel oder in einem größeren Windpark strömt der Wind auch nachts mehr oder weniger turbulent, wodurch der beschriebene Effekt kleiner wird.
Stoevesandts Schlussfolgerung: „Während in Deutschland die Tag-Nacht-Unterschiede der Windverhältnisse nicht so auffällig und einheitlich verlaufen, gibt es zum Beispiel in den großen Flächen der Great Plains in den USA einen deutlichen Tag-Nacht-Zyklus, bei dem in der Nacht eine stabile atmosphärische Schichtung aufgebaut wird. Deshalb kann in solchen Regionen oder auch auf dem Meer eine solche Überlegung durchaus relevant sein.“
Er sieht aber noch ein weiteres Problem: „Dadurch, dass bis jetzt alle Windräder immer in die gleiche Richtung drehen, wirkt das Landschaftsbild ruhiger. Neue Windräder, die plötzlich in die andere Richtung drehen, könnten Menschen stören.“
https://www.tagesspiegel.de/wissen/ein- ... 05478.html