0lli hat geschrieben:Lieber Manfred,
dann belehre mich doch eines Besseren. Ich freue mich auf deine Sicht und Argumente. Du kannst dich gern an meinen Aussagen entlanghangeln und deine Meinung dazu schreiben.
Beste Grüße
Ich kann das Zwischenergebnis jahrelangen Lernens nicht in einen Forenbeitrag packen.
Aber evtl. ein paar Hinweise zum Erkenntnisprozess:
Als erstes gilt es zu verstehen, dass fast alle Grünlandpflanzen in Koevolution mit ziehenden Herden großer Pflanzenfresser und den diesen Herden folgenden Prädatoren entstanden sind, und wie dieses Dreigestirn aus Pflanzen, Pflanzenfressern und Prädatoren zusammengewirkt hat, bis wir Menschen dieses Gleichgewicht zerstört haben. (Der Herdenzug funktioniert heute nicht mal mehr in der Serengeti. Auch dort degradiert deshalb das Ökosystem...)
Der nächste Schritt ist zu verstehen, wie dieses fein austarierte System auf die 4 wesentlichsten Ökosystemprozesse (Wasserkreislauf, Nährstoffkreislauf, Energieumsetzung und Community
Dynamics (ein deutsches Wort scheint es dafür noch nicht zu geben, gemeint ist das Wechselspiel und die zeitliche Dynamik aller beteiligten Lebewesen) wirkt.
Etwas Literatur dazu (ich empfehle das Lesen in eben dieser Reihenfolge):
Allan Savory: Holistic Management - A New Framework for Decision Making
Jody Butterfield, Sam Bingham, Allan Savory: Holistic Management Handbook - Healthy Land, Healthy Profits
Allan Savory, Jody Butterfield: Holistic Management - A Commonsense Revolution to Restore the Environment
Jim Howell: For the Love of Land
André Voison: Grass Productivity
Chip Hines: How did we get it so wrong
Chip Hines: Time To Chance - Grazing- Genetics - Management
Peter Poschlod: Geschichte der Kulturlandschaft
Ist teilweise schwere Kost, aber danach sollte ein gewisses Verständnis vorhanden sein, wie natürliches Grünland funktioniert, und was unsere Vorfahren so alles angerichtet haben.
Ergänzend wäre es empfehlenswert, sich mal etwas ausführlicher mit dem zu beschäftigen, was in dem Boden unter diesem Grasland zu alles an Leben aktiv ist und wie dieses wechselwirkt und sich dafür in die Forschungsergebnisse von Elaine Ingham einzuarbeiten.
Es gibt dazu auch einige kurze, populärwissenschaftliche Büchlein von Jeff Lowenfels. Empfehlenswert sind z.B. Teamin with Microbes und Teaming with Fungi. Stark vereinfachend, aber evtl. gut als Einstieg zu gebrauchen für die, die sich damit noch nicht befasst haben.
Dabei wird einem Bewusst, dass weit über 90% der Artenvielfalt sich im Boden abspielen und Blümchen und Insektenzählen obenauf nur einen winzigen Ausschnitt der Gesamt-Artenvielfalt abbildet.
Bezüglich der Auswirkungen der Bewirtschaftung auf den Wasserhaushalt empfehle ich einige Videos von und mit Ray Archuleta vom USDA Natural Resources Conservation Service anzusehen. Der zeigt recht eindrucksvolle Versuche mir Regensimulatoren (Versickerungsvermögen, Erosion und Nährstoffauswaschung) und zur Löslichkeit getrockneter Bodenproben in Wasser.
Das LfU in Bayern hat auch so einen Simulator, setzt ihn aber leider sehr zurückhaltend ein. Meist auf Infoveranstaltungen für Kinder...
Danach sollte die Erkenntnis gereift sein, dass die Evolution stets dahin wirkt, dass ein funktionierendes Biotop die verfügbaren Ressourcen (Sonnenlicht, Nährstoffe, Wasser) mögl. effektiv nutzt und zu diesem Zweck versucht mögl. viel Nährstoffe und Wasser zu akkumulieren und in seinem internen Kreislauf zu halten.
Dann fehlt noch der Schritt zu verstehen, wie wichtig für das Gedeihen vieler Arten eine gewisse Dynamik des Biotops ist.
Savory und Howell schreiben zwar darüber, aber die meisten Leser scheinen es dort nicht zu verstehen.
Dick Richardson aus Australien hält gute Vorträge darüber. Evtl. fällt es auf der Schiene leichter. z.B.
https://www.youtube.com/watch?v=1d2UTVrUKHk
Wenn man das alles verarbeitet und verstanden hat, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das, was mit FFH-Wiesen versucht wird, kein Naturschutz ist, sondern am ehesten Naturverhinderung und der auf Versagen programmierte Versuch eine Momentaufnahme einer menschengeschaffenen Kulturlandschaft festzuhalten oder wieder herzustellen.
Dass es der Biodiversität schadet. Dass es dem Wasserhaushalt schadet und das Hochwasserrisiko erhöht. Dass es klimaschädlich ist. Dazu kommen die negativen gesellschaftlichen Folgen.
Das Scheitern des Naturschutzes in Deutschland lässt sich ja schon alleine daran ablesen, dass inzwischen weit mehr als 50% der Land- und Forstwirtschaftlichen Flächen in irgendwelchen Schutzgebietskulissen liegen oder nach freiwilligen Kulturlandschafts- und Vertragsnaturschutzprogrammen bewirtschaftet wird.
Und obwohl der "Naturschutz" damit bereits den Großteil der Fläche in der Hand hat, beklagt er trotzdem einen angeblich dramatischen Rückgang der Biodiversität.
Da könnte man auf den Gedanken kommen mal darüber nachzudenken, was man denn bisher falsch gemacht hat.
Die gute Nachricht ist: Es gibt weltweit eine Menge Leute, die das längst getan haben, die positive Gegenentwürfe geschaffen haben und weiterentwickeln und diese inzwischen auf mehreren Millionen ha Land praktisch umsetzen.
Sind halt fast alles Praktiker, die draußen arbeiten. Bis die Schreibtischtäter es verstehen und dann irgendwann auch anfangen umzudenken dauert es meist ein paar Generationen. Das ist zwar schade, weil dadurch viel Zeit und viele Mittel verloren gehen, aber es ist menschlich. Die Trägheit, mit der neues Wissen bestehende Organisationen durchdringt ist ja inzwischen inkl. der Gründe für diese Trägheit umfangreich wissenschaftlich untersucht. Das zu verstehen ist hilfreich für die Psyche der Pioniere, denen meist nicht einleuchten will, wieso es vielen so furchtbar schwer fällt, das zu verstehen was sie als Pioniere vormachen und noch schwerer, die eingefahrenen Praktiken und Dogmen entsprechend zu ändern.