Hallo,
mir ist letzt ein Artikel untergekommen, den ich sehr treffend fand und den ich euch nicht vorenthalten möchte (nein, ich werde nicht der neue Egbert):
Das Pendel schlägt zur anderen Seite aus
Prof. Dr. Dr. Hans Hinrich Sambraus, Waldtruderinger Strasse 17a, D-81827 München
Jahrzehntelang galt unser Kampf - man kann es nicht anders bezeichnen – der Durchsetzung dessen, was die Tierschutzgesetze fordern unter anderem: «verhaltensgerechte Unterbringung» und die «Möglichkeit des Tieres zu artgemässer Bewegung». Raus aus der Intensivhaltung; Weidegang oder doch zumindest Ausläufe fur Nutztiere. Kaum haben der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Forderungen erhoben, schon ist die Lobby der Massentierhaltung dabei, diese auszuhebeln. Aus der Forderung nach Sitzstangen für Legehennen wurden verdickte Bodenleisten; aus der Forderung nach einem Sandbad wurde eine Art Fussmatte mit daraufgestreutem Futter. Und dennoch: Kleine Erfolge lassen sich nicht leugnen.
Nun droht aber Gefahr aus einer ganz anderen Ecke. Bekanntlich ist der Auerochse im 17. Jahrhundert ausgestorben. Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts versuchten die «Urmacher» Heinz und Lutz Heck in den Zoologischen Gärten von München und Berlin den ausgestorbenen Ur durch Kreuzung zahlreicher Hausrinderrassen rückzuzüchten. Schon nach wenigen Generationen erhielt man Tiere, die dem Auerochsen im Aussehen ähnlich waren. Aber der Auerochse selbst war das zweifellos nicht; es war der Versuch einer Rückzüchtung. Er fuhrte zu einer neuen Hausrinderrasse. Aber interessierte Kreise stellten es so dar, als hätten sie den Auerochsen wieder. Das ist Etikettenschwindel, aber aus der Sicht des Tierschutzes kann uns das zunächst gleichgültig sein. In den «Leitlinien fur Wild in Gehegen» der Bundesrepublik Deutschland wird ausdrücklich hervorgehoben, dass der phänotypisch rückgezüchtete Auerochse kein Wildrind ist.
Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts werden vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft grossflächige, extensive Grünland- und Naturschutzgebiete geschaffen. Würde man in diese Flächen nicht in irgendeiner Weise eingreifen, würden die meisten von ihnen bald verbuschen oder man hätte dort bald einen Wald. Gefördert werden soll aber die Biodiversität. Es wurde nach Tieren gesucht, die diese Tendenz fordern; man kam auf die Auerochsen-Rückzüchtung.
Diese Tiere gelten bei den Naturschützern als Wildtiere und werden auch so behandelt, ebenso wie weitere Rinderrassen und auch bestimmte Pferde. Sie sollen Laub und Zweige fressen. Damit dies geschieht wird oft nicht zugefüttert. Nun fressen Rinder (und auch Pferde) Gras und Kräuter, aber kaum Laub (Laubfresser ist die Ziege). Die Tiere werden nicht ausreichend ernährt. Sie magern ab, sind - weil Unterhautfettgewebe fehlt - nicht genügend kälteisoliert und meist in der zweiten Winterhälfte (Februar, März) kommt es zu Todesfällen. Die Tiere werden ausserdem nicht täglich kontrolliert. Das könne man nicht, denn in den grossen Gebieten seien die Tiere mal hier und mal dort, ausserdem seien viele Flächen gar nicht zugänglich oder erlaubten z.B. wegen der zu schützenden Vogelwelt keine Begehung, wird von Naturschutzseite entgegnet.
Das bedeutet, dass ein Tier mit einer Fraktur, eine Kuh, die in einer Schwergeburt steckt, ein Kalb, das in ein Sumpfloch geraten ist, keine Hilfe bekommt und stirbt. Am Ende langer Diskussionen kann es dann schon mal geschehen, dass gesagt wird, man sei der Auffassung «was durch kommt, kommt durch». Angestrebt wird eine «De-Domestikation».
Naturschützer gebrauchen landwirtschaftliche Nutztiere als Mittel zum Zweck. Tierschutzaspekte werden meist nicht beachtet.
Eine solche Einstellung, eine solche Behandlung (oder besser: Nicht-Behandlung) von Haustieren ist nicht hinzunehmen. Ohne Zweifel unterliegen auch diese Tiere dem Tierschutzgesetz. Täglich müssen Gesundheitszustand und Wohlbefinden mindestens einmal überprüft
werden. Die Tiere müssen ausreichend ernährt werden, sie brauchen einen Schutz vor Witterungsunbilden und vieles mehr. Wenn das nicht gewährleistet ist, dann kann man in den betroffenen Biotopen und Naturschutzgebieten keine Haustiere halten.
Im Rahmen einer Fachtagung «Weidelandschaften und Wildnisgebiete» wurden in der «Lüneburger Erklärung zu Weidelandschaften und Wildnisgebieten vom 24.9.2003» etliche Forderungen erhoben.
Sie enthalten unter anderem die Forderung nach einer Anpassung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen, die als ,,Hemmnisse» in der Praxis der Landschaftspflege und des Naturschutzes angesehen werden:
• Lockerung des Gebots zur täglichen Kontrolle der Weidetiere auf grossen, unübersichtlichen Arealen
• Entwicklung eines anerkannten Regelwerks für den Umgang mit kranken, verwundeten und sterbenden Tieren, das einerseits die Grossflächigkeit der Gebiete und andererseits die äusserst artgerechte Haltung wertend berücksichtigt
• Entwicklung von Standards zur Zufütterung und zur Anlage von Unterständen in Abhängigkeitvom jeweiligen Gebietstyp und den eingesetzten Rassen
• Beibehaltung der Möglichkeit, Flächen, auf denen neben Pferden auch andere Arten gehalten werden, mit Stacheldraht abzuzäumen
• Strikte Begrenzung des prophylaktischen Einsatzes von Präparaten zur Bekämpfung von Parasiten
• Zulassung des Abschusses als Methode der Entnahme für die anschliessende Vermarktung.
Einige dieser Forderungen schienen ganz vernünftig, bei anderen ist Vorsicht geboten; es sind trojanische Pferde. Einzelne dieser Forderungen müssen rundweg abgelehnt werden. Sie sind aus der Sicht
tierschützerischer Forderungen ein Rückschritt.
Es wäre Aufgabe der zuständigen Veterinärbeamten, auf die Einhaltung von Mindeststandards der Tierschutzgesetzgebung zu achten. Es ist aber auch jeder Tierschützer und Tierfreund aufgerufen, bei Ungereimtheiten in Naturschutz- und Wildnisgebieten nachzuhaken. Landwirtschaftliche Nutztiere gehören ins Freie. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen.
Ich bin sonst eher nicht der fahnenschwingende Tierschützer, aber solche und ähnliche Verhältnisse nehmen leider immer mehr zu und werden, in Unkenntnis der Bedürfnisse unserer Haus- und Nutztiere - von großen Teilen der Bevölkerung auch noch befürwortet.
Was schlimmer ist: in der Folge gucken sich zahlreiche Neu- und Quereinsteiger mit Nutztieren solche Bedingungen ab, kopieren sie "bei sich zu Hause", nicht nur mit Rindern, auch mit den typischen Einsteigertieren Schaf, Ziege und Schwein.
Wem solche Zustände bekannt werden, oder wer ähnliche Haltungsformen kennt, oder sieht, der sollte dafür - besser: DAGEGEN "so viel Öffentlichkeit wie möglich" mobilisieren.
Hiermit versucht
Grüße
Brigitta