22.10.2021
Helden ohne Umhang (20): Eyal Magal – Der Kampfpilot, der sich kurz vor einem Flugzeugabsturz blind zurück ins Leben navigierte
von Nadine Haim Gani
JERUSALEM, 22.10.2021 – Es gibt keinen F-16 Piloten auf der Welt wie Eyal Magal. Dass er in den Wolken über Israel überlebt, ist unfassbar und atemberaubend zugleich. Eyal navigiert seinen Jet durch den blauen Himmel, als das Unglaubliche geschieht. Um den Piloten wird es dunkel. Er verliert sein Augenlicht. Ein blinder Kampfpilot, dessen Düsenjet in Hochgeschwindigkeit Richtung Meeresoberfläche abstürzt. Augenblicke von einem Crash entfernt, schafft Eyal das Unmögliche.
Bei Tempo 2400 navigiert Eyal blind
Eyal ist blind. Er kann nichts von dem, was um ihn herum geschieht, wahrnehmen. Mit 2400 Kilometern pro Stunde rast sein Flugzeug auf die Meeresoberfläche zu. Der Höhenmesser zählt im Sekundentakt den Höhenverlust. Eyal weiß, dass er binnen 20 Sekunden auf dem Meer aufschlagen wird. Er versucht, durch Muskelanspannung im Bauchbereich und den Beinen das Blut zurück in sein Gehirn fließen zu lassen. Er schlägt sich selbst mehrfach in den Bauch. Vergeblich. Eyal ist gewohnt, mit einem Co-Piloten zu fliegen. Doch heute fliegt er einen einsitzigen Kampfjet und ist somit auf sich selbst gestellt.
Eyal sieht nichts. Auch nicht die drei anderen Kampfflugzeuge, mit denen er kollidieren könnte. Er teilt ihnen über Funk mit, sofort die Trainingseinheit abzubrechen. Er unterrichtet sie davon, dass er sein Umfeld nicht wahrnehmen kann, doch ist er nicht im Stande, seine Situation detaillierter zu erklären. Die drei anderen Piloten wissen nichts von der Katastrophe, die sich in Eyals Cockpit abspielt. Der 35-Jährige konzentriert sich darauf, sich selbst und seine Maschine vor dem Aufprall zu retten.
Den Regeln des israelischen Militärs zufolge müsste der Pilot in dieser Situation den Schleudersitz betätigen. Das Leben eines Kampfpiloten ist wichtiger als seine Maschine. Doch Eyal entscheidet sich anders. Er hat das Gefühl, er habe den Flug immer noch unter Kontrolle, auch wenn er nichts sehen kann. Vor seinem Start versprach er seinem Jet gemeinsam zurückzukehren. Eyal will sein Versprechen einhalten.
15 Sekunden zum Aufprall
Nur wenige Sekunden trennen den Düsenjet von dem tödlichen Aufprall im Meer. Eyal weigert sich, den Schleudersitz zu nutzen. Es scheint, dass der Pilot den Ernst der Lage nicht verinnerlicht. Sein Entschluss, sich nicht aus dem Jet zu katapultieren, sollte sich später als entscheidend herausstellen. Eyal weiß, dass er binnen Sekunden auf der Meeresoberfläche aufschlagen wird. Er zieht am Steuerknüppel und versucht, die Flugzeugnase über den Horizont zu heben. Die Kamera des Kampfjets dokumentiert die dramatischen Augenblicke. In letzter Sekunde schafft es Eyal, das Flugzeug vor dem Crash zu retten. Wie – das kann Eyal bis heute nicht erklären.
Eyal atmet tief und schnell ein. Er versucht seinen Körper auf Normalstatus zu bekommen. Nach langen Sekunden fängt er an, wieder leichte Umrisse und Konturen seiner Umgebung zu erkennen. Noch immer kämpft er gegen schwere Kreislaufattacken. Das Bild der Außenwelt dreht sich für den Jetpiloten wie ein Karussell. Doch dann erlangt er seine Sehkraft komplett zurück. Die Schmerzen und Schwindelgefühle zwingen Eyal, sofort zu seinem Armeestützpunkt zurückzukehren.
Auf dem Rückflug erfasst der Pilot, wie nahe er vor einem Absturz und damit dem Tod war. Die Gedanken von Eyal kreisen um seine Familie. Mit zwei kleinen Kindern, einer hochschwangeren Ehefrau und Eltern, die vor einigen Jahren ihre Tochter bei einem Autounfall verloren, will er sich nicht ausmalen, wie seine Liebsten die Todesnachricht aufgenommen hätten. Ein ungeborenes Kind, das seinen Vater nicht kennt und Eltern, die ein weiteres Mal ein Kind beerdigen müssen. Eyal versteht, dass er sein Leben ein weiteres Mal geschenkt bekommen hat.
IEyal vermisst bis heute seine geliebte F-16. Er träumt mindestens einmal die Woche von seinem Highspeed-Spielzeug. Foto: Ofer Zidon / Flash90
Der Pilot unterzieht sich medizinischen Tests
Nach der Landung atmet Eyal auf. Das Adrenalin, das seinen Körper konstant auf die Überlebensmission fokussiert hielt, verlässt den Körper. Er sucht seine Vorgesetzten auf und erzählt von dem fast tödlichen Ereignis. Er wird angewiesen, sich medizinischen Untersuchungen zu unterziehen, um zu klären, was seinen Körper in eine solche Notlage brachte.
Eyal nimmt zwei Kopfschmerztabletten und begibt sich auf den Nachhauseweg. Als er früher als gewohnt nach Hause kommt, wird seine Ehefrau stutzig. Doch Eyal entscheidet sich aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft seiner Frau, ihr die Ereignisse des Tages vorzuenthalten und weiht sie nur in seine starken Kopfschmerzen ein. Von dem dramatischen, fast tödlichen Flug erzählt er nichts.
Am darauffolgenden Tag lässt Eyal umfangreiche medizinische Tests bei Armeeärzten über sich ergehen. Er versucht zu erklären, dass es sich hier nicht um die bekannten Begleiterscheinungen dreht, denen Jetpiloten bei G-Kräften ausgesetzt sind. Es war nicht nur ein Blackout oder Vertigo. Nach stundenlangen Untersuchungen entlassen ihn die Ärzte. Sie finden keine Abnormalitäten. Sein Gesundheitszustand sei normal.
Eyal kehrt zu seiner Alltagsroutine zurück. Bevor er wieder in seinen geliebten Jet steigen darf, muss er eine Zentrifuge überstehen. In der Zentrifuge werden Manöver und G-Kräfte simuliert, um sicherzugehen, dass die Piloten der Belastung standhalten.
Doch Eyal ist bedrückt. Er hat ein schlechtes Bauchgefühl. Der Pilot sucht seine Hausärztin auf und bittet um einen Termin für eine Kernspintomografie. Überraschenderweise gab es noch einen freien Termin: 1:00 Uhr nachts. Acht Stunden später soll Eyal auf dem Armeestützpunkt in der Zentrifuge sitzen.
Eyal wird in die MRT- Röhre geschoben. Nach erfolgreicher Untersuchung wird er langsam aus dem Kernspingerät gefahren. Ihn erwarten zwei Krankenschwestern mit einem Rollstuhl. Er wird darum gebeten, sich in den Rollstuhl zu setzen und nicht aufzustehen.
Erschreckende Ergebnisse
Die behandelnde Professorin eröffnet Eyal, dass er unter einem lebensgefährlichen Hirn-Aneurysma leidet. Eine Arterie ist angerissen und Blut läuft in sein Gehirn. Er ist in akuter Lebensgefahr. Die kleinste Bewegung, jeder kleinste Druck, könnte die Arterie ganz reißen lassen, dann ist er nicht mehr zu retten. Die Ärzte weisen Eyal darauf hin, dass er sich in die Notaufnahme begeben muss und auf keinen Fall Auto fahren darf. Eyal lügt und überzeugt die Ärztin, dass seine Frau im Auto auf ihn warte.
Eyal entschließt sich zuerst nach Hause zu fahren. Trotz seiner lebensgefährlichem Gesundheitszustandes und gegen die Auflagen seiner Hausärztin. Der einzige Gedanke, der in Eyals Kopf kreist, ist der Verlust seiner Kampfpiloten-Karriere.
Eyal erklärt um 3:00 Uhr früh seiner Ehefrau, man habe etwas in seinem Kopf entdeckt und er solle sich zu weiterführender Behandlung in die Notaufnahme begeben. Trotz Drängens seiner schwangeren Frau, greift Eyal zum Telefon und ruft erst einmal seine Schwester im Ausland an. Seine Schwester und sein Schwager sind beide Allgemeinärzte. Als die Schwester die Diagnose hört, gibt sie zunächst keine Antwort. Erst nach langen Minuten weist sie ihren Bruder an, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Sie verspricht, das nächste Flugzeug nach Israel zu besteigen.
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