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Dienstag, 27. Mai 2008
Protest der Milchbauern
"Es bleibt ein Skandal"
Die Milchbauern haben ihre Lieferungen gestoppt. Sie verdienen zu wenig an ihrer Ware. Mindestens 40 Cent pro Liter Frischmilch fordern sie. Derzeit verdienen einige Bauern nur 27 Cent an einem Liter.
"Metaller streiken, Bauarbeiter oder Bahner. Aber Bauern? Das ist neu", heißt es in der Volksstimme aus Magdeburg. "Sie können für die Milch, die sie in dieser Zeit nicht liefern, nicht mal auf eine Entschädigung aus der Streikkasse hoffen. Die gibt es nicht. Die frisch gemolkene, nach höchsten Qualitätsstandards produzierte Milch fließt in Futtertröge und versickert als Dünger auf dem Acker, mit ihr das Milchgeld und sicher manche Träne."
"Die Bauern stehen mit dem Rücken zur Wand", so die Heilbronner Stimme, "in einer Sparte, die mit 14-Stunden-Tagen und ganzjähriger Präsenz im Stall schon bei guten Preisen nicht ohne Idealismus funktioniert. Die junge Generation rechnet und flüchtet." Die Hälfte der Betriebe habe keine Zukunft, weil die Milchbauern keine Nachfolger fänden, warnt das Blatt und schlussfolgert: "Verlieren die Landwirte im Tauziehen mit der Milchindustrie, wird dies das Verschwinden von Betrieben noch beschleunigen. Und dann könnte es sein, dass die Milch erst wirklich teuer für die Verbraucher wird."
Auch die Leipziger Volkszeitung zeigt Verständnis: "Die Milchbauern können, wenn sie überleben wollen, die anziehenden Aufwendungen etwa für Rohstoffe, Futter, Sprit und Energie keineswegs aus der eigenen Tasche berappen. Die Verbraucher sollten daher nicht auf dauerhaft sinkende Kosten für die Ernährung hoffen."
"Frische Milch in die Gülle laufen zu lassen, ist Frevel", erklärt das Obermain-Tagblatt aus Lichtenfels. "Aber Bauern sehen keinen Ausweg." Trotz erst kürzlich vermeldeter "enormer Nachfrage aus Asien" erhielten sie Spottpreise, weil auch der Milchstrom anschwillt. "Turbokuh und Massentierhaltung erweisen sich als Fluch."
Die Neue Westfälische aus Bielefeld sieht die Milchbauern "am kürzesten aller denkbaren Hebel, eingekeilt zwischen mächtigen Handelskonzernen, sehr sparsamen Verbrauchern, zyklischen Weltmärkten und einer unentschlossenen Agrarpolitik. Mangels Streikkasse ist ein Streik für die Bauern ruinös. Mangels Margen führt aber auch der Weiterbetrieb in den Ruin. Da verdient das Aufmucken auf den Höfen Verständnis. Die Regale in den Läden werden trotzdem nicht leerer werden - vorerst."
Die Berliner Morgenpost sieht David gegen Goliath kämpfen: "Diktieren lassen werden sich insbesondere die Einzelhandelsunternehmen ihre Preise von ein paar tausend Bauern auf keinen Fall. Im Gegenteil: Jeder einzelne Landwirt, der jetzt seine Milch nicht ausliefert, muss damit rechnen, sp äter dafür bestraft zu werden." Weder symbolträchtiger Bauernprotest noch Tausende Liter weggeschüttete Milch könnten die Preise ändern, denn die Milchbauern seien zu schwach organisiert. "Hätten sie eine st ärkere Verhandlungsposition, dann könnten sie auch Phasen stark schwankende Preise überstehen. Ein Bauer mit hundert oder mehr Milchkühen kann das nicht."
Die Nürnberger Nachrichten erörtern ebenfalls die Wirksamkeit des Boykotts: "Ob die Bauern am Ende höhere Preise erzwingen können, das hängt - wie der Erfolg bei einem normalen Streik - vor allem von der Solidarit ät in den eigenen Reihen ab." Insbesondere finanzielle Engpässe gelte es zu überbrücken, "falls die Milchfront steht." Eine entscheidende Frage sei außerdem: "Werden Bauern aus Dänemark, Frankreich oder anderen Ländern der Versuchung widerstehen, als Ersatzlieferanten und quasi als Streikbrecher ein gutes Geschäft zu machen?"
"Ob die Milchbauern mit ihrem Lieferboykott den gewünschten Erfolg haben werden, ist zu bezweifeln", erklärt das Badische Tagblatt daher skeptisch, denn "notfalls kommt die Milch eben aus dem Ausland. Daher sorgt der Boykott kurzfristig zwar für Aufsehen, verpufft letztlich aber weitgehend." Die Bauern müssten um ihr öffentliches Ansehen bangen, "wenn sie ein Grundnahrungsmittel wie Milch einfach wegkippen statt es zu verkaufen." Die "Marktmacht einiger weniger großer Discounter" hält die Zeitung aus Baden-Baden dagegen für überbewertet, denn: "Angebot und Nachfrage bestimmen bekanntlich den Preis."
Die Nürnberger Zeitung stellt den Milchmarkt in seiner Funktionsfähigkeit in Frage: "Hat die subventionierte Landwirtschaft wirklich etwas mit Markt zu tun? Oder war sie nicht eher ein Steuerungsinstrument, um das Höfesterben nicht noch dramatischer werden zu lassen, vor allem aber, um die Nahrungsmittelproduktion für eventuelle Notzeiten abzusichern?"
"Erst wurden durch EU-Subventionen Milchseen und Butterberge geschaffen", erinnert die Abendzeitung aus München an die "Marktverhinderungspolitik" und Milchquoten der EU. "Diese Agrarsubventionen kosten Europas Bürger 50 Milliarden Euro im Jahr. Deswegen war die drastische Absenkung des Garantiepreises für Milch ein richtiger Schritt, als Nächstes sollte die Quotenregelung fallen. Dann könnten die Landwirte mehr Markt wagen und vielleicht auch bald von der wachsenden Nachfrage auf dem Weltmarkt profitieren. Dieser marktwirtschaftliche Impuls muss auch andere erfassen: Es kann nicht sein, dass in einigen Regionen einzelne Großmolkereien die Preise diktieren. Letztlich aber muss der Verbraucher diese fairen, also höheren Preise zu zahlen bereit sein an der Supermarktkasse."
Ähnlich argumentiert die Schwäbische Zeitung aus Leutkirch: "Milch, die mit viel Hingabe erzeugt wird, ist mehr wert als ein Allerweltsprodukt aus der Agrarfabrik. Wer also so produziert, muss sich Gedanken über angemessene Vermarktung machen statt nach Beihilfen aus Berlin oder Brüssel zu rufen. Bauern sollten die Wertschöpfungskette beackern. Dass Kunden bereit sind, für Qualität mehr zu bezahlen als für Discounter-Niveau, zeigen die Erfolge von Bio-Milch, Premium-Marken in der Glasflasche oder regionalem Käse vom Wochenmarkt."
Dem pflichtet die Ulmer Südwest Presse bei: "Verdient wird in der Landwirtschaft heute vor allem dort, wo konsequent auf Qualität, auf art- und umweltgerechte Erzeugung und regionale Vermarktung gesetzt wird."
"Man ist, was man isst", heißt es auch in der Nordsee-Zeitung. "Hochgez üchtete Turbokühe, die in Mega-Ställen nie die grüne Wiese sehen - wer das möchte, kann auch weiterhin billige Milch, Joghurt oder Käse zum Schnäppchenpreis sich und den Seinen servieren."
"Es bleibt ein Skandal", so die L übecker Nachrichten, "dass der Liter Benzin fast zweieinhalbmal mehr kostet als ein Liter Milch. Hier stimmt etwas nicht."
Zusammengestellt von Nona Schulte-Römer
Quelle:
http://www.n-tv.de/Protest_der_Milchbauern_Es_bleibt_ein_Skandal/270520081821/970555.html