Hallo Zusammen,
meine Freundin hat vor kurzem mit ihrer Ausbildung begonnen und ist kurz darauf in die Gewerkschaft Verdi eingetreten und wir haben uns deswegen ganz schön in die Wolle gekriegt.
Grund sind da unsere grundsätzlich verschiedene Auffassungen:
Wir alle sehen im Moment, was auf den Märkten los ist, wir alle müssen unser Geld beieinander halten und zusehen, dass wir mehr oder weniger gut über die Runden kommen. In der Landwirtschaft geht damit auch meist betriebliches Wachstum einher. Nur selten wird für zusätzliche Fläche zusätzliches Personal eingestellt, der Arbeitsplatz des vorhergehenden Bewirtschafters geht meist verloren.
Im Prinzip ist das in der Wirtschaft nicht anders, hier werden nun auch mal notgedrungen Standorte geschlossen oder Stellen abgebaut.
Das geschieht wohl auch wegen gesunder Aktienkurse, aber hauptsächlich, um das Unternehmen und damit auch die übrigen Arbeitsplätze zu erhalten.
Sie sieht sich aber als Arbeitnehmerin, die ständig um ihren Arbeitsplatz und Geld bangen muss, was beides durch den Arbeitgeber bedroht wird.
In meinen Augen hat sie aber einen guten Job, ein recht Gutes Einkommen, in ihr wird in Form von Weiterbildung investiert.
Verdi ging ziemlich direkt vor, um neue Mitglieder zu werben. Einer Infoveranstaltung folgt direkt die Einladung zur Mitgliedschaft gegen einen Beitrag von 1% des Brutto-Einkommens. Allein dieses Vorgehen, junge Menschen, noch ein bisschen "grün" hinter den Ohren, auf ihre Seite / deren Geld aus der Tasche zu ziehen, verärgerte mich enorm.
Mittlerweile hat sie an einen 2tägigen Verdi-Seminar teilgenommen, in der ihr und allen anderen neuen Azubis erläutert wurde, wie Arbeitgeber Arbeitnehmer ohne Gewerkschaften ausbeuten würden und nur auf Gewinn um jeden Preis aus seien.
Wir haben heftig miteinander diskutiert, sie verglich die Gewerkschaft mit dem Bauernverein, in dem ich bin und lies sich nicht beirren. Ihr Verwandten- und Freundeskreis findet im Großen und Ganzen gut, was sie da macht. Ich stehe mit meiner Meinung ziemlich alleine da.
Da diese ganzen Diskussionen außer schlechter Stimmung nichts gebracht hatten, versuchte ich mit Gewerkschaften im Allgemeinen und Verdi im Besonderen auseinanderzusetzen und ihre Handlungen zu verstehen und vielleicht sogar zu akzeptieren.
Aber was auch immer ich fand, es "fühlte" sich in meinen Augen falsch an.
Was haltet ihr von Gewerkschaften?
Im unseren Ortsbauernverein kam das Thema vor langer Zeit auch kurz auf. Ein Mitglied fand es gut, dass sein Sohn in die Gewerkschaft eingetreten ist und beschrieb es ungefähr so, das der kleine Mann sich immer gegen einen vermeintlich stärkeren organisieren müsse. Ein anderes Mitglied konterte dagegen mit den wirtschaflichen Gefahren von Gewerkschaften.
Kann man Gewerkschaften überhaupt mit dem Bauernverein vergleichen?
Verfolgen nicht beide Organisationen vergleichbare Ziele für ihre Mitglieder? Sind aber nicht die Mitglieder gerade das genaue Gegenteil? Und wen gegenüber setzt der Bauernverein seine Ziele durch?
Was ist mit dem Verhalten von Gewerkschaften untereinander? Die IG-Metall muss beispielsweise versucht haben, andere Gewerkschaften aus dem Metallbereich per Gericht entweder sich einzuverleiben oder aber zu verbieten. Stellt das nicht das ganze Dasein der Gewerkschaften schon in Frage?
Brauchen gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer tatsächlich höhere Löhne / Gehälter und geringere Arbeitszeiten?
In der Regel sind die Mitarbeiter großer Unternehmen in Gewerkschaften. Aber große Unternehmen bieten in der Regel schon recht günstige Arbeitsbedingungen und relaitv hohe Gehälter.
Ist das nun, wenn solche Arbeitnehmer streiken, überhaupt moralisch zu rechtfertigen, wenn es andererseits Arbeitnehmer gibt, die ein wesentlich schlechteres Einkommen oder schlimmere Arbeitsbedingungen haben? Und was ist im Vergleich dazu mit Selbständigen - sei es Landwirtschaft, Dienstleistung oder Handwerk - bei denen selbst solche Sachen wie eine geregelte Arbeitszeit und ein gesichertes Einkommen eben nicht selbstverständlich sind?
Kann eine Gewerkschaft wie Verdi überhaupt glaubhaft auftreten, wenn sie selbst, wie jedes andere Unternehmen auch, sich den "wirtschaftlichen Gegebenheiten" anpasst und die Anzahl der Beschäftigten (auch Gewerkschaften sind Unternehmen) drastisch reduziert?
Ist es ein Unterschied, ob ich mit Massen meiner Kollegen die Arbeit niederlege, oder ob ich alleine meinen Arbeitgeber mit dem Verlassen der Firma drohe, um ein höheres Gehalt zu erzielen?
Es es überhaupt berechtigt, mehr Lohn zu fordern, wenn man umgekehrt nicht mehr leistet?
Betrügen die Gewerkschaften ihre Mitglieder nicht, indem sie ihnen höhere Löhne versprechen, dadurch aber die Inflation antreiben, und dann unser aller Geld am Ende weniger Wert ist? Schließlich ist das wie die Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war: Zuerst die hohen Preise oder die höheren finanziellen Mittel?
Schaden Gewerkschaften durch mögliche Streiks und Gehaltsforderungen den Wirtschaftsstandort Deutschland oder stellen Tarifverträge zufriedene und leistungsbereite Arbeitnehmer bereit und sorgt die damit einhergehende Friedenspflicht für kalkulierbare Risiken für Unternehmer?
Und wie passen Gewerkschaften in eine globalisierte Welt, in der viele Standardteile in Billiglohnländer produziert werden / werden können, ohne das Rücksicht auf die dortigen Arbeitnehmer oder Umwelt genommen wird?
Hetzen Gewerkschaften Arbeitnehmer gegen deren Arbeitgeber auf oder sind Tonart und Vorgehensweise gerechtfertig? Schadet eine Gewerkschaft dem Betriebsklima oder gefährdet sie sogar Arbeitsplätze?
Sind Wortwahl und Methoden der Gewerkschaften überhaupt politisch vertretbar? So ist immer die Rede vom Arbeitskampf und man könne einen Tarifvertrag nicht erhandeln, man müsse ihn erkämpfen. Ebenso die Art der Stimmungsmache, in denen man Massen von Arbeitnehmern sagt, was sie hören wollen und ihnen die passenden Worte in den Mund legt, die dann wie von einen Mann bei Demonstrationen mit Bannern und Plakaten lauthals vorgetragen werden?
Es gibt einige Punkte, die ganz klar für eine Gewerkschaft oder auch einen Betriebsrat sprechen. Sei es einfach ein neutraler Ansprechpartner der Fragen beantworten oder auch Probleme lösen kann sowie die schon oben genannte Friedenspflicht.
Trotzdem bin ich zu sehr Unternehmer, als dass ich eine Gewerkschaft in meinen Unternehmen haben wollte: Mit welchen Recht dürften Leute, die ich bezahle, die keine unternehmerischen Risiken tragen all das gefährden, was ich und unter Umständen meine Vorgänger-Generationen aufgebaut haben?
Ich hoffe auf eine angeregte, sachliche Diskussion.
Noch bin ich völlig unentschlossen, auf welcher Seite ich "Position beziehen" soll.